Interview

Endlich mitreden über KI - Einblicke in den Bürger:innenrat "KI und Freiheit"

#Künstliche Intelligenz

Interview: Gerd Schild

Cover der Broschüre "Empfehlungen des Bürgerrats "KI und Freiheit"

Über Künstliche Intelligenz mitreden und die Zukunft der Forschung darüber mitgestalten. Dieser Aufgabe stellten sich 40 zufällig ausgeloste Bürger:innen aus Baden-Württemberg. Sie kamen über mehrere Monate im Bürger:innenrat "Künstliche Intelligenz und Freiheit" zusammen.

Den Bürgerrat hat das von der VolkswagenStiftung geförderte Center for Rhetorical Science Communication Research on Artificial Intelligence (RHET AI) ins Leben gerufen. Das Projekt zeigt: Man kann auch abseits der Wissenschaft über komplexe Themen respektvoll diskutieren.

Im Sommer 2024 fanden Sie jeweils einen Brief im Postkasten mit der Bitte, beim Bürger:innen-Rat KI mitzumachen. Ihr erster Gedanke damals?

Robin Schleser: Ehrlich? Ich dachte erst, da will mich jemand veräppeln (lacht). Ich arbeite als Programmierer bei SAP. Und im Brief stand ja, dass ich zufällig ausgewählt wurde. Aber dann habe ich mich damit beschäftigt und bald zugesagt.

Rainer Hellberg: Ich bin der Älteste in der Gruppe. Ich bin Rentner und werde bald 80. Ich war früher im Export tätig, weltweit unterwegs, reise heute noch viel Reise und bin politisch und wirtschaftlich sehr interessiert. Über KI habe ich auch oft mal gescheit mitgeredet, ohne zu wissen, was es eigentlich ist (lacht). Ich dachte: Rainer, da kannst du wirklich etwas lernen.

Isabelle Rienhardt: Ich nutze KI manchmal im Alltag, für ChatGPT etwa. Als die Einladung kam, habe ich gedacht: Ja, warum nicht einfach mal schauen, was ist das überhaupt?

Diskussionsrunde mit mehreren Personen unterschiedlichen Alters

Lebhafte Diskussionsrunde bei einem Treffen des Bürgerrats "KI und Freiheit"

Es gab ein Vorgespräch, vier Treffen an Samstagen, dazu noch Nachbereitung. Mussten Sie lange überlegen, bei allem Interesse, mitzumachen?

Hellberg: Für mich waren das teilweise mehrere Stunden Fahrt. Aber das hat mich nicht abgehalten. Vor dem ersten Treffen habe ich dann auch mal mit meinen Söhnen gesprochen und festgestellt, dass beide schon seit ungefähr 10 Jahren mit KI beruflich aktiv arbeiten. Und die haben auch gesagt: Ja, geh doch hin. Das ist interessant. Das habe ich dann auch gemacht.

Schleser: Ich bin einer der Jüngsten und arbeite jeden Tag mit KI. Ich fand es interessant, wie andere darauf blicken, die nicht bei einem Software-Unternehmen arbeiten oder ganz selbstverständlich damit aufwachsen. Und wollte natürlich auch gerne mein Wissen einbringen. 

Sie haben sich im September 2024 das erste Mal getroffen, im AI Research Building der Universität Tübingen. Sie hatten unterschiedliche Vorkenntnisse. Wie haben Sie es geschafft, dass Sie miteinander über KI reden konnten?

Hellberg: In der ersten Sitzung war sehr viel ähnliches Unwissen. 

Schleser: Ja, und dann gab es vier Stunden Input zu KI. Dieses Grundwissen hat gereicht, dass wir alle miteinander reden konnten.

In der Gesellschaft wird es zunehmend schwieriger, miteinander respektvoll ins Gespräch zu kommen. Mussten Sie lange diskutieren, wie Sie inhaltlich diskutieren wollen? 

Rienhardt: Das Team hatte einen Regelkatalog vorgegeben, den haben wir besprochen, da konnten wir uns auch einbringen, aber das hat gut gepasst – da ging es einfach um Grundfragen wie Respekt, Ausredenlassen, unterschiedliche Meinungen zulassen.

Wie kann man sich die Stimmung bei den Sitzungen vorstellen?

Hellberg: Die Atmosphäre war sehr wertschätzend, eigentlich immer positiv, auch wenn wir uns nicht einig waren. Es wurde niemand niedergeredet oder nicht wahrgenommen oder nicht ernst genommen. Da war ein großer gegenseitiger Respekt.

Rienhardt: Ja, es war eine tolle Stimmung in der Gruppe. 

mehrere Personen präsentieren eine Broschüre mit der Aufschrift "Empfehlungen des Bürgerrats KI und Freiheit"

Mitglieder des Bürgerrats bei der Übergabe des Policy Papers "Empfehlungen des Bürgerrats KI und Freiheit"

Wie sah eine typische Sitzung aus?

Hellberg: Es wurden immer wieder Kleingruppen gebildet an verschiedenen Tischen. In den Gruppen wurden dann Unterthemen und Fragestellungen bearbeitet.

Rienhardt: Die wichtigsten Punkte haben wir dann Sticker an die Wand gehängt, und dann konnten die anderen das auch mitlesen, nochmal mitbesprechen und ergänzen. 

Schleser: Und eine Journalistin hat uns dann geholfen, die Inhalte am Ende der Sitzungen noch einmal aufzubereiten. Diesen Entwurf der Redaktionsgruppe wurde dann in die große Gruppe per E-Mail zurückgesendet. Am Ende ist dann das Policy Paper rausgekommen.

Man kennt es von Koalitionsverhandlungen: Manchmal wird um jedes Wort gerungen. Wie sind Sie in der Gruppe damit umgegangen, wenn einzelne andere Meinungen hatten – es gab sicher nicht für jeden Satz des Papers Konsens. 

Hellberg: Wenn wir uns nicht einig wurden, dann haben wir die "Gegenstimmen", die alternativ gewünschten Formulierungen, auch immer festgehalten. Wir waren in den meisten Fragen aber mehr oder minder einer Meinung. 

KI wird das Leben von vielen Menschen verändern. Gab es bei den Treffen auch Raum für Emotionen?

Rienhardt: Es war schon Platz für Sorgen. In meinem Job wird die KI wahrscheinlich auch ganz bald noch mehr Einzug nehmen, wahrscheinlich ist der Beruf doch eher aussterbend – und diese Veränderungen stehen ja in vielen Branchen an. Aber ich habe niemanden erlebt, der gesagt hat: Mein Gott, das wird alles schlimm. 

Bei welchem Themenfeld innerhalb von KI haben Sie besonders intensiv diskutiert?

Schleser: Eines der Themen war Gesundheit und KI. Viele hatten Sorgen vor dem Zugriff auf sensible Daten. Deshalb haben wir im Paper auch die Forderung formuliert, eine Infrastruktur für sichere Datenspenden aufzubauen. Wenn wir mit anonymisierten Gesundheitsdaten unser deutsches Medizinsystem entlasten können, dass es günstiger und effizienter wird, dann liegt da ein großes Potenzial.

Sie haben ein Policy Paper an die Wissenschaftsministerin von Baden-Württemberg übergeben. Wie kann man das Papier am besten beschreiben?

Robin Schleser: Das sind Handlungsempfehlungen aus der Mitte der Gesellschaft. Wir können nicht fordern, wie sich Grundlagenforschung inhaltlich ändern soll – sondern wollten unsere Gedanken mit den vielen unterschiedlichen Hintergründen einbringen.  Gerade da, wo Forschende vielleicht auch mal einen Tunnelblick haben. 

Herr Schleser, Sie waren bei der Übergabe an die Ministerin auch dabei. Wie haben Sie das empfunden?

Schleser: Ganz ehrlich: Der Teil mit den Reden war eher steif (lacht), wir hatten auch nur wenig Zeit für unsere Ergebnisse. Aber in der Diskussion danach, die Gespräche, das war wertvoll, weil auch viele Mitarbeitende vom Ministerium dabei waren und weil da wirklich die Essenz vom Bürgerrat rübergekommen ist.

Hellberg: Ja, Robin, wenn ich das in Relation setze zu unseren Treffen, die sich wohl über ein halbes Jahr oder 5 Monate hingezogen haben, wo 40 Leute und das Team der Uni sich sehr intensiv damit beschäftigt haben, dann waren einige Kernsätze in 20 Minuten schon sehr knapp. Das hat mich schon etwas enttäuscht. 

Rienhardt: Wobei man sagen muss, dass die Ministerin sich bei einem Treffen vorher eine Stunde Zeit genommen hat. 

Schleser: Das stimmt. Und sie war wirklich sehr nah dran am Thema, das hat mich schon beeindruckt. 

Und wie geht es jetzt weiter, für die Themen aus dem Rat und den Rat selbst?

Schleser: Die Ministerin hat gesagt, dass das Land mit Themen wie der MEDI:CUS Cloud, die den Austausch von Gesundheitsdaten vereinfachen soll, schon einiges angeschoben hat und sich bestätigt fühlt. Aber es gibt keinen konkreten Plan, mit unseren Empfehlungen etwas Neues anzufangen oder einen stärkeren Fokus darauf zu setzen.

Rienhardt: Es gibt sicher noch Potenzial, die Menschen aus so einem Rat mehr mitzunehmen, zu zeigen, was mit ihrer Arbeit passiert, wer in welchem Rahmen darauf schaut, wie es damit weitergeht. Es wäre schön, wenn das nicht bei einer einmaligen Runde mit ein paar Treffen bleiben würde. Wenn es eine Form gäbe, das Thema und seine Herausforderungen auch anderen näher zu bringen – über welche Formate auch immer, wäre ich gerne mit dabei. 

Wie hat die Arbeit im Bürger:innenrat ihre Unterhaltungen mit Familie oder mit Freund:innen beeinflusst? 

Hellberg: Ich habe zwei Stammtische mit Menschen meines Alters, die schon lange in Rente sind. Da bin ich auf viel Interesse gestoßen – wegen des Bürger:innenrats allgemein, aber auch inhaltlich. Meinen Enkelinnen habe ich es auch erzählt und festgestellt, dass die trotz meines erarbeiteten Wissens bereits sehr viel weiter sind als ich (lacht). 

Was nehmen Sie mit aus dem Bürger:innen-Rat KI?

Hellberg: Ich war beeindruckt von der Atmosphäre: 40 Leuten mit teilweise sehr konträren Meinungen, mit unterschiedlichem Wissen und Anfang sehr großer Skepsis. Wie wir es geschafft haben, zielgerichtet zu diskutieren und Ergebnisse zu finden – Respekt.

Rienhardt: Da könnten sicher auch Menschen in der Politik einiges lernen: Das Diskutieren, das Finden von Ergebnissen abseits von Schwarz-Weiß-Denken, ohne sich auf Angriffe auf die Gegenseite zu konzentrieren.

Schleser: Ich habe auch Vorurteile abgebaut. Vorher hatte ich schon im Kopf, dass sich Ältere nicht so wirklich mit Technik auseinandersetzen.  Doch in der Runde waren manche Ältere besser über KI informiert als Jüngere in der Runde. 

Hellberg: Für mich zeigte unsere Runde auch: Wir müssen doch mit den wichtigen Themen der Gesellschaft an die Jungen ran. Das schafft man doch heute nicht mehr über das Fernsehen, da müssen wir neue Kanäle, andere Wege finden – und so ein Bürger:innen-Rat kann ein Weg sein.

Wie geht es weiter nach der letzten Sitzung des Bürger:innenrats "KI und Freiheit"?

Nach der letzten Sitzung des Bürger:innenrats ist klar: Die Empfehlungen und das Format selbst stoßen auf großes Interesse – in Politik, Forschung und Gesellschaft. Seitdem werden die Empfehlungen in verschiedenen Kontexten diskutiert und die Erfahrungen aus dem Projekt reflektiert. 

Nach Abschluss des Bürger:innenratsprojekts wurde das Policy Paper am 10. März 2025 offiziell an die Wissenschaftsministerin Petra Olschowski übergeben. Bereits am Folgetag informierte sie das Kabinett über die Ergebnisse. Auch in der Forschung stießen die Empfehlungen auf Interesse: Am 31. März diskutierte der Exzellenzcluster "Machine Learning for Science" ihre Umsetzungsmöglichkeiten. Am 2. Juli werden die Empfehlungen im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung im StadtPalais Stuttgart diskutiert: Dort kommen Bürger:innenratsmitglieder, das Cyber Valley Public Advisory Board und interessierte Gäste ins Gespräch.

Neben der Diskussion der vom Bürger:innenrat erarbeiteten Empfehlungen rückt auch das Beteiligungsformat selbst in den Fokus: Am 20. Mai stellte die Unit die Praxiserfahrungen mit dem Bürger:innerat im Kabinettsausschuss "Demokratie und Bürgerbeteiligung" vor. Beim Digital Democracy Camp am Karlsruher Institut für Technik (KIT) simulierten Studierende ein Bürger:innenratsverfahren und reflektierten Potenziale digitaler Partizipation. Am 19. März fand ein Austausch mit anderen Bürger:innenräten und Forschenden aus der Kommunikationswissenschaft im Rahmen des Vorprogramms der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) statt. Der Austausch hatte Bürger:innenräte als Forum für Wissenstransfer zwischen unterschiedlichen Instanzen bzw. Interessengruppen zum Thema. 

Insgesamt zeigt sich: Die Impulse des Bürger:innenrats wirken sowohl in politischen als auch wissenschaftlichen Kontexten durch inhaltliche Anregungen wie auch durch methodische Reflexionen weiter.
 

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