Ausschreibung "Experimentierräume": Regeln aussetzen, um Neues auszuprobieren

Jonas Willingstorfer für VolkswagenStiftung
Deutsche Universitäten stoßen an ihre Grenzen – nicht, weil ihnen Ideen fehlen, sondern weil starre Regeln sie ausbremsen. Die Stiftung möchte Hochschulen, Behörden und Ministerien ermuntern, kontrollierte Risiken zu wagen, um Neues zu ermöglichen.
Ein Präsidium will einen hochkarätigen Forscher halten. Der Plan: eine gemeinsame Professur mit einem außeruniversitären Institut und einem Industriepartner, samt geteiltem Laborzugang. Doch das Projekt scheitert – nicht am Willen, sondern am Landesrecht. Solche Blockaden kennt man an deutschen Hochschulen zur Genüge. Sie betreffen Personalmodelle ebenso wie grenzüberschreitende Kooperationen oder die gemeinsame Nutzung von Infrastruktur. Strategische Entwicklungsziele scheitern an bürokratischen Regeln. Es fehlt die Möglichkeit, Neues einfach mal auszuprobieren.
Hochschulen und Politik – probiert etwas aus, das ihr bislang für unmöglich gehalten habt.
Die VolkswagenStiftung will das ändern – mit einem Förderangebot, das für die Wissenschaftslandschaft ein Novum darstellt. "Strategische Experimentierräume" heißt die neue Ausschreibung, die Universitäten, Behörden und Ministerien dazu ermuntern will, das bisher Undenkbare einmal ganz praktisch zu erproben. Für einen begrenzten Zeitraum sollen Vorschriften außer Kraft gesetzt werden dürfen – unter kontrollierten Bedingungen und mit wissenschaftspolitischer Rückendeckung.
Georg Schütte, Vorstand der VolkswagenStiftung, ist ein großer Fan der neuen Ausschreibung: "Wir sehen, wie viele gute Ideen an strukturellen Barrieren scheitern. Überholte Vorschriften und unflexible Strukturen verhindern, dass die Wissenschaft auf die enormen Herausforderungen unserer Zeit reagieren kann. Wir werden von der Dynamik überrollt. Wenn die Hochschulen hier mithalten wollen, müssen wir dringend mehr Flexibilität und Risikobereitschaft im Wissenschaftssystem etablieren."
Die Idee ist nicht neu, aber in dieser Form neu gedacht. 2024 legte die Stiftung gemeinsam mit dem Stifterverband ein Papier vor: "Veränderungen wagen". Darin wurde konstatiert: zu wenig Spielräume für strategisches Handeln, zu viele Pflichten, zu wenig Optionen. Darum jetzt das Experiment mit den Experimentierräumen, in denen Universitäten gezielt gesetzliche Vorgaben aussetzen dürfen, um strukturelle Lösungen zu testen, die unter normalen Bedingungen blockiert bleiben. Georg Schütte: "Mit der Ausschreibung sollen strategische Veränderungsallianzen geschaffen werden. Wir wollen Universitäten mit Behörden und Ministerien zusammenbringen, die gemeinsam den Mut haben, echte Reformimpulse zu setzen, indem sie Ausnahmen zulassen. Ohne politischen Rückhalt funktioniert es nicht."

Dr. Georg Schütte ist Vorstand der VolkswagenStiftung.
Gemeint ist keine Projektförderung im engeren Sinne, sondern ein institutionalisiertes Reallabor: Die Universität definiert ein strategisches Ziel – etwa einen länderübergreifenden Forschungscampus, ein neues Karrieremodell oder eine neuartige Governance-Struktur. Gemeinsam mit dem Ministerium wird analysiert, welche Regeln im Weg stehen. Für die Laufzeit des Projekts werden sie ausgesetzt.
Die Stiftung stellt für die erste Runde bis zu zehn Vorhaben mit jeweils maximal 500.000 Euro und einer Laufzeit von zwei bis fünf Jahren in Aussicht. Der Fokus liegt auf Projekten, die nicht nur lokal wirken, sondern modellhaft sind – übertragbar auf andere Hochschulen, Bundesländer oder gar bundesweite Regelungen. Die Auswahl erfolgt in zwei Schritten: Bis zum 30. September 2025 müssen Interessierte ein Konzeptpapier mit einer verbindlichen Zusage des zuständigen Ministeriums einreichen. Nach positiver Begutachtung folgt im Frühjahr 2026 der Vollantrag. "Wir wollen die Debatte über Hochschulautonomie neu beleben – nicht abstrakt, sondern ganz konkret, in Form von Projekten, die Regelgrenzen verschieben und zeigen, was möglich ist, wenn man darf", so Schütte.
Gesucht sind mutige Vorhaben mit echtem Veränderungspotenzial.
Die Ausschreibung trifft einen Nerv. Die Rufe nach strukturellen Reformen nehmen zu – nicht zuletzt wegen des Drucks, schneller auf gesellschaftliche Umbrüche, internationale Kooperationen oder Fachkräftemangel zu reagieren. Doch das föderale System ist auf Beharrung ausgelegt. Was es braucht, sind rechtlich legitimierte Ausnahmen, aus denen sich Regelneuerungen ableiten lassen: "Die Frage ist nicht nur, was erlaubt ist – sondern was möglich wäre, wenn man Institutionen wirklich vertraut. Wir wollen zeigen: Strategische Verantwortung und strukturelle Freiräume gehören zusammen", so Schütte.
Die Liste möglicher Themen ist lang. Sie reicht von neuen Formen der Infrastrukturnutzung über innovationsorientierte Transfermodelle bis hin zu ressortübergreifenden Hochschulnetzwerken. Wichtig ist der Stiftung dabei, dass diese Experimente keine Einzelmaßnahmen bleiben, sondern in bestehende Strukturen rückwirken – idealerweise mit dauerhaftem Effekt: "Wir fördern hier bewusst keine Anpassung im Kleinen. Gesucht sind mutige Vorhaben mit echtem Veränderungspotenzial – auch wenn sie zunächst unbequem oder risikobehaftet erscheinen. Unsere Botschaft ist klar: Hochschulen und Politik – probiert etwas aus, das ihr bislang für unmöglich gehalten habt. Wenn es gelingt, kann es Maßstab für viele werden", sagt Georg Schütte.