Veranstaltung

Karrieren im Wandel: Erfolge - Erfahrungen - Errungenschaften

Dr. Ulrike Schneeweiß

Zum 10. Jubiläum des Xplanatoriums blickten Geförderte der VolkswagenStiftung zurück: Wie haben sich Karrierewege in der Wissenschaft verändert? "Woraus erwächst die Leidenschaft, Dingen auf den Grund zu gehen?", fragte die Stiftung. Die drei Podiumsgäste hoben eher darauf ab, welchen Hürden und Widerständen diese Leidenschaft zu trotzen habe.

Zahl 10 vor dem Schriftzug "Xplanatorium" Play Video

Mitschnitt der Veranstaltung

Dr. Andrea Binder hat als Freigeist-Fellow der VolkswagenStiftung am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin eine Forschungsgruppe zum Verhältnis von Geld und Macht aufgebaut. Über wissenschaftliche Karrieren zu sprechen, bedeute für sie, "das Paradox des modernen Lebens zu reflektieren", sagte Binder eingangs. Einerseits seien Menschen einzigartige Individuen mit Eignungen und Neigungen, gleichzeitig seien sie Produkt ihrer Umstände. 
 

Individuum und Struktur 

"Klasse, Geschlecht, Alter, Herkunft - all das prägt uns und bestimmt, wer wir sein und beruflich werden können." Für eine wissenschaftliche Laufbahn brauche es Privileg. "Im Spannungsverhältnis zwischen individueller Eignung und Neigung auf der einen und Privileg auf der anderen Seite, kippen die gegenwärtige Strukturen in Richtung Privileg", konstatiert Binder. Wer wissenschaftliche Karrieren ergründen wolle, müsse daher stets das Individuum und die Strukturen im Blick haben. Die prekären Verhältnisse etwa in Kauf zu nehmen, die eine wissenschaftliche Laufbahn zeitweise bedingen kann, sei nur denen möglich, "die es sich leisten können: Menschen deutscher Staatsangehörigkeit eher als die anderer, Menschen ohne Verantwortung für Care Arbeit eher als die mit, Erb:innen eher als Nicht-Erb:innen." Aufgrund der Überzahl an Promovierenden sei zudem der Abbruch der akademischen Karriere die Regel. Ein Auswahlkriterium für Forschende sei daher: "Wer kann dieses Risiko eingehen?" Viele geeignete Personen ohne Privilegien zögen unter diesem Druck ins Ausland oder verließen die Wissenschaft, beobachtet Binder. "Die Talentiertesten gehen." 

Eine Frau mit gelbem Blazer hält ein Mikrofon in der Hand

Die Politökonomin Andrea Binder forscht als Freigeist-Fellow der VolkswagenStiftung zu sogenannten Off-Shore Finanzen, Geschäften mit Krediten und den Auswirkungen auf Geldkreisläufe und Wertschöpfungsketten. 

Transformation braucht kluge Köpfe 

Die derzeitige Transformation sei ein guter Zeitpunkt, um diese Zustände in größere gesellschaftliche Zusammenhänge zu stellen, meint die Politökonomin. Die Wissenschaft müsse sich fragen: Wie können wir die klugen Köpfe finden und halten, die auf Fragen im Angesicht großer gesellschaftlicher Umbrüche angemessene humanistische Antworten geben können? Aufgrund ihrer Erfahrungen außerhalb der akademischen Forschung und während der Promotion in England liefert Binder Anhaltspunkte dafür. Als junge Frau habe sie große Verantwortung übernommen, um mit Kolleg:innen eine Denkfabrik aufzubauen. In der akademischen Welt fänden sich Forschende in frühen Karrierestadien dagegen in einer unterschätzen und untergeordneten Rolle gegenüber der überhöhten Position ihrer älteren Vorgesetzten. "Dabei wissen wir, dass gerade junge Gehirne besonders innovativ sind", sagt Binder. 

Wertschätzung, Verantwortung, Mut 

In England habe sie zwei herausragende Aspekte anders erlebt als in Deutschland: Einen weiteren Zeithorizont für Forschungsarbeiten sowie einen viel stärkeren Teamgeist und die Anerkennung kollektiver Leistungen. Für das deutsche Wissenschaftssystem wünsche sie sich drei Dinge, fasste Binder zusammen. Erstens: mehr Wertschätzung für Forschende unterhalb der Professur - auch in Form von verlässlichen Arbeitsbedingungen. Zweitens: mehr eigenständige Verantwortung für diese Gruppe Forschender. Und drittens: mehr Mut im System, die Herkunft Forschender zu diversifizieren und Übergänge zwischen Praxis und Theorie zuzulassen.

Mentoren schenken Vertrauen 

Der Neurowissenschaftler Volker Busskamp vom Universitätsklinikum Bonn hat erlebt, dass es Menschen gibt, die an seine Fähigkeiten glauben - und solche, denen seinen Ideen zu risikoreich sind. Sein Doktorvater, ein renommierter Forscher der Augenheilkunde in Basel, wurde Busskamps erster Mentor. Bei aller Skepsis gegenüber den Plänen seines Doktoranden sagte er sich offenbar: "Lass ihn mal machen." "Er hat ein Potential in mir gesehen, das ich damals selber noch nicht erkannt hatte", sagt Busskamp heute. Seinen zweiten Mentor, einen Frankfurter Professor der physikalischen Chemie, lernte er gegen Ende der Doktorarbeit kennen. "Von da an haben sich meine Mentoren gegenseitig hochgeschaukelt darin, mir die besten Empfehlungen zu schreiben und mich für Wissenschaftspreise zu nominieren." Der junge Forscher hatte Menschen gefunden, die ihm vertrauten. Reines Glück? "Natürlich ist immer Glück dabei", meint Busskamp. "Man muss sich dieses Vertrauen aber auch durch Leistung verdienen." 

Basel, Boston, Dresden - Unterwegs für die Karriere 

Eher zufällig lernte er den Molekularbiologen an der Harvard Universität kennen, bei dem er dann als Postdoc arbeitete. "2011 zogen wir dafür mit einem Neugeborenen von Basel nach Boston", erzählt Busskamp. "Und ich sattelte von Neurobiologie auf Stammzellforschung um" - eine herausfordernde Zeit. Mit seinen Kenntnissen in Stammzelltechnologie, Neurobiologie und Verfahrenstechnik, wollte er biologische Computer aus Neuronen entwickeln. "Die Deutsche Forschungsgemeinschaft wollte das ‘überambitionierte und risikoreiche’ Projekt in Zeiten knapper Ressourcen nicht fördern", schildert Busskamp die damalige Reaktion des größten deutschen Forschungsförderers. Und um als Freigeist-Fellow der VolkswagenStiftung gefördert zu werden, musste er das passende Gastgeberinstitut finden. So ging er mit Kind und Kegel nach Dresden, an das Center for Regenerative Therapies. 

Mann am Rednerpult

"Karriere in der Wissenschaft ist wie eine Fahrt in der Achterbahn", sagt der ehemalige Freigeist-Fellow Volker Busskamp. Heute ist er Professor am Universitätsklinikum Bonn.  

Verwoben mit der privaten Lebenstrajektorie 

Um finanzielle Sicherheit für sich und seine Familie zu haben, nahm er zunächst eine Stelle an seinem neuen Institut an. Wenig später bekam er von der VolkswagenStiftung die Zusage für das Freigeist-Fellowship. "Die Freude war groß", erzählt Busskamp. "Der Kater aber auch." Denn sein gastgebendes Institut halbierte nach der Förderzusage kurzerhand das Budget für seine Stelle. In Busskamps Augen war das ein klares Signal: "Leistung lohnt sich nicht." Er überlegte, mit dem Freigeist-Fellowship an ein anderes Institut zu gehen, wog ab - und blieb. "Das zweite Kind war gerade geboren, eine Wohnung in Dresden gefunden, die Arbeitsgruppe bereits in der Planung …" Natürlich sei eine wissenschaftliche Laufbahn immer auch "eng verwoben mit der privaten Lebenstrajektorie", pflichtet ihm Stefan Hell bei, der ebenfalls auf dem Podium sprach. Kinder, Partnerschaft, Trennung beeinflussen, wohin man geht und wie lange man bleibt. 

Reibungspunkte und Herausforderungen

Glücklich wurde Busskamp in Dresden nicht. Es gab Reibungspunkte am Institut: "Ich war anders." Statt wie die anderen mit einem Tiermodell, arbeitete er mit seinen etablierten Stammzellmethoden, schon allein um im zeitlichen Rahmen einer Nachwuchsgruppe voran zu kommen. In seinem Umfeld fand das wenig Anklang. Gleichzeitig empfand er die Umstellung vom eigenständig arbeitenden Postdoc zum Gruppenleiter mit Personalverantwortung als große Herausforderung. Und die Aussicht auf Verlängerung seines Vertrags blieb vage. "Ich hatte Verantwortung für meine Familie und meine Mitarbeitenden", sagt Busskamp. "Es war geradezu unethisch, mich in so eine Sackgasse laufen zu lassen."

Zuhörer:innen in einem Auditorium

10 Jahre "Xplanatorium":  Seit 2012 stößt das Veranstaltungsprogramm der VolkswagenStiftung im Tagungszentrum Schloss Herrenhausen auf großes Publikumsinteresse.

"Seit etwa zehn Jahren mache ich mir keine Gedanken mehr um Geld für meine Forschung", sagt Stefan Hell, Direktor am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen und am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg. Er finde es toll, dass es in Deutschland Forschungsgruppen gebe, die sich nicht um Forschungsmittel sorgen müssen, sagt Hell. "Aber: Lange lange Zeit hatte ich das nicht."

Idee ohne Förderer 

Nach seiner Promotion war Hell zunächst arbeitslos. Sein eigener Doktorvater vertraute nicht auf die Schlagkraft seiner Idee. Der junge Physiker wollte nicht weniger als die Mikroskopie revolutionieren, in Stein gemeißelte Gesetze der Physik aushebeln, fundamentale Grenzen überwinden. "Das Grübeln darüber hat mich bei der Stange gehalten", erzählt er heute. "Ich habe für meine Idee gelebt, auch wenn sie andere für völlig spinnert hielten." In seiner Disziplin sei es entscheidend, Patente anzumelden, erklärt er. Also tat er genau das, während er eine Arbeitsstelle suchte. "In meinem Lebenslauf habe ich diese Phase später als ‘freier Erfinder’ euphemisiert", schmunzelt Hell. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und auch die Boehringer-Ingelheim Stiftung boten ihm zwar Stipendien, jedoch keine Langzeitperspektive, und sie diktierten bestimmte Bedingungen. Förderung für sein Projekt konnte der ambitionierte Physiker ohne gastgebende Einrichtung nicht einwerben. 

Privileg des Durchbruchs 

Er entwickelte seine Idee weiter und veröffentlichte ein theoretisches Konzept davon. In Deutschland - und auch den USA - wollte aber noch lange Zeit niemand etwas davon wissen. Nur ein Direktor am damaligen Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie wurde aufmerksam und lud ihn ein, sich vorzustellen. "Doch selbst als ich dort 1997 eine Stelle als Gruppenleiter bekam, sagte man mir dort klipp und klar: fünf Jahre und nicht länger", berichtet Hell von der zermürbenden Stellensuche. Das Blatt hat sich gewendet, als seine Idee sich bewährte. "Ich hatte das Privileg, einen Durchbruch zu haben", sagt Hell, der 2015 für seine Entwicklung den Nobelpreis erhielt. "Es hätte auch anders kommen können, aber ich hatte nun mal recht", konstatiert er trocken und erntet Lacher aus dem Publikum. 
 

älterer Mann an einem Rednerpult

Der Physiker Stefan Hell wollte die Entwicklung von hochauflösenden optischen Mikroskopen wegen fehlender Förderung schon fast aufgeben. Später erhielt er den Nobelpreis.

Neugier motiviert

Heute finden sich mikroskopische Bilder, die mittels der von ihm entwickelten Methode aufgenommen wurden, in jedem Biologie Lehrbuch in Deutschland. "Ich habe das nicht gemacht, um die Lebenswissenschaften voran zu bringen", betont Hell allerdings. "Meine Motivation war immer die Neugier - ich wollte wissen: Geht’s oder geht’s nicht?" Sich zu motivieren, weiter zu machen auch wenn man allerorten auf Granit beißt, sei nicht immer einfach. "In der Wissenschaft ist es sehr schwer, Konsens zu hinterfragen", sagt er, "weil immer auch Interessen dahinter stecken." Persistiert sie jedoch, führe gerade die Neugier oft zu unerwarteten Durchbrüchen. Hell plädiert deshalb für breite Förderung möglichst vieler Forschungsvorhaben, Ideen und Personen - und auch dafür, bei der Auswahl gelegentlich den Zufall entscheiden zu lassen, so wie es die VolkswagenStiftung in der Förderinitiative ‘Experiment’ erprobt. Und er gibt zu bedenken: Durchbrüche haben immer auch einen ökonomischen Wert. Eine Ausgründung einiger seiner Mitarbeitenden etwa beschere in Göttingen zahlreichen Familien ein Einkommen. 

Karriere in der Achterbahn

Auch Volker Busskamp hat heute eine Professur inne. Geholfen haben ihm immer wieder seine beruflichen und persönlichen Beziehungen. Familie und Freunde unterstützten ihn. "Und zum Glück hatte ich ein gutes GPS", sagt Busskamp und meint damit die vielen Kontakte, die er im Laufe seiner Karriere in seinem Umfeld knüpfen konnte. Eine Kollegin wies ihn auf die freie Professur in Bonn hin. "So bekam ich meine erste unbefristete Stelle - mit Mitte vierzig", erzählt er. Sein Fazit: Karriere in der Wissenschaft ist wie eine Fahrt in der Achterbahn. Man braucht Menschen, die einen aus den Tälern herausholen und ein stimulierendes Umfeld, Raum und die Freiheit, kreativ zu sein." Seine biologischen Computer übrigens schickt Busskamp demnächst für Untersuchungen sogar bis ins Weltall.
 

Mehrere Exemplare des Stiftungsmagazins Impulse auf einem Tisch ausgebreitet

Impulse Ausgabe 2023: Wissenschaft leben

Dr. Andrea Binder ist auch eine der Protagonistinnen unseres Stiftungsmagazins "Impulse". In der aktuellen Ausgabe stellen wir noch weitere Wissenschaftler:innen vor, für die sich Passion und Profession verbinden und die ihren ganz eigenen Weg gehen. Lassen Sie sich von der Begeisterung dieser Forschenden anstecken. 

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