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Tragen Medien zur Polarisierung der Gesellschaft bei?
#Wissenschaft und Gesellschaft #DemokratieBerichten Presse, Rundfunk und TV tatsächlich neutral – oder verstärken sie ungewollt Gegensätze und Konfrontation? Das Projekt "Political polarization and journalistic practices" untersucht, wie Berichterstattung wirkt.
Medien informieren, ordnen ein, moderieren den gesellschaftlichen Diskurs. Das ist das Bild, das Journalist:innen von ihrer Rolle haben. Doch entspricht dieses Selbstbild noch der Wirklichkeit? Tragen längst nicht auch seriöse Medien durch Zuspitzung, Emotionalisierung oder einseitige Auswahl von Stimmen zur Polarisierung der Gesellschaft bei? Für diese These gibt es bislang weder wissenschaftsbasierte Belege, noch Indikatoren für ihre Messung.
Gerade seriöse Medien wollen fair berichten, aber oft entsteht eine Dynamik, in der extreme Außenseiter-Positionen viel Raum bekommen.
Das Forschungsprojekt "Political Polarization and Journalistic Practices: Adding Fuel to the Fire?" an der Universität Hamburg will die Befundlage verbessern – mit der Unterstützung der VolkswagenStiftung in ihrer Förderinitiative "Transformationswissen über Demokratien im Wandel".
Die Idee zum Projekt, das vom Kommunikationswissenschaftler Michael Brüggemann in Hamburg geleitet wird, entstand aus einer grundlegenden Beobachtung: Polarisierung wird oft nicht durch radikale Gruppen allein vorangetrieben – auch der Journalismus kann eine Rolle spielen. "Gerade seriöse Medien wollen fair berichten, aber oft entsteht eine Dynamik, in der extreme Außenseiter-Positionen viel Raum bekommen", so Brüggemann.
Bezeichnet wird diese Asymmetrie als False Balance-Effekt. Angelegt ist er in dem journalistischen Prinzip nach Ausgewogenheit, d.h. Für- und Widerspruch sollen gleichermaßen zu Wort kommen. "Das wird dann problematisch, wenn eine dieser Positionen nur eine kleine, weitgehend isolierte Minderheit in der Wissenschaft repräsentiert."
Ein Fallbeispiel für dieses Phänomen kennt Brüggemann aus seiner Forschung zur Klimakommunikation: Dass es den Klimawandel gibt und er eine Folge menschlichen Handelns ist - darüber besteht in der Scientific Community weltweit ein fast lückenloser Konsens. Trotzdem bekommen Klimawandel-Zweifler, auch mit einem akademischen Titel, Medienpräsenz. Das wiederum verunsichert das Publikum: Ist die Wissenschaft sich etwa doch nicht sicher?
Aber es sind nicht nur handwerkliche Fehler, mit denen Journalisten ihre Glaubwürdigkeit selbst aushöhlen. Die Medienhäuser müssen sich an die geänderten Publikumswünsche anpassen, wenn sie wirtschaftlich überleben wollen. Das Muster geben die sozialen Medien vor. Dort belohnen die Algorithmen vor allem kontroverse, emotionalisierende Inhalte, ungeachtet ihres Wahrheitsgehalts. Michael Brüggemann: "Emotionale Themen polarisieren, und Polarisierung steigert Reichweiten." Reichweite wiederum lässt sich in Werbe-Erlöse ummünzen.

Prof. Dr. Michael Brüggemann hält die Professur für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg und fokussiert in seiner Forschung insbesondere auf Klima- und Wissenschaftskommunikation.
Aber ist Polarisierung per se schlecht? Schließlich lebt die Demokratie auch von Gegensätzen und Debatten. "Nicht jede Polarisierung ist destruktiv", sagt der Forscher. Problematisch wird es aber, wenn Debatten nicht mehr lösungsorientiert geführt werden, sondern nur noch dazu dienen, die eigene Gruppe gegen eine andere in Stellung zu bringen. Wenn nur noch im Freund-Feind-Schema gedacht wird. Wenn jedoch keine Kommunikation und keine Kompromisse mehr möglich sind, gerät das Fundament des demokratischen Diskurses in Gefahr.
Emotionale Themen polarisieren, und Polarisierung steigert Reichweiten.
Co-Creation für Praxisnähe
Für ihr Studiendesign setzen Brüggemann und sein transdisziplinäres Team auf Co-Creation: Journalist:innen sollen eingebunden werden, um am Ende ein praxisnahes Projektergebnis vorlegen zu können: etwa Leitlinien für einen verbesserten, auf Ausgleich zielenden Journalismus. Die Resonanz aus dem Medienbereich ist bisher allerdings verhalten: "Manche können unseren Forschungsansatz gar nicht nachvollziehen. Für sie ist unstrittig, dass Journalismus immer bloß die Realität abbildet und das Publikum nicht in eine bestimmte Richtung beeinflusst." Für Brüggemann aber ist klar: Journalisten können gar nicht neutral sein, sie sind Akteure im politischen Diskurs. "Wir müssen verstehen, welchen Einfluss bestimmte journalistische Praktiken haben – und welche Alternativen es gibt."
Doch wie lässt sich wissenschaftlich untersuchen, ob Journalismus tatsächlich spaltet? Um bestimmte Effekte nachzuweisen, setzt das Projekt einerseits auf eine KI-gestützte Inhaltsanalyse großer Mengen journalistischer Texte aus den letzten zehn Jahren, um darin Muster zu erkennen: Wie werden Konflikte dargestellt? Welche Sprache wird genutzt? Wie häufig kommen gemäßigte Stimmen zu Wort?
Wir müssen verstehen, welchen Einfluss bestimmte journalistische Praktiken haben – und welche Alternativen es gibt.
Komplementär dazu gibt es Verhaltensexperimente. Die konkreten Fragestellungen werden zusammen mit den Akteuren aus der Praxis ausgearbeitet. Themen könnten sein: Wie wirken unterschiedliche journalistische Darstellungsformen auf das Publikum? Können moderierende Texte einer Polarisierung entgegenwirken? Oder umgekehrt: Werden Menschen durch eine bestimmte Wortwahl oder Erzählweise stärker in eine "Wir gegen die"-Denkweise gedrängt?
Das Ziel des Forschungsprojekts geht über die reine Analyse hinaus. Am Ende sollen konkrete Leitlinien für einen weniger polarisierenden Journalismus stehen. Dabei geht es nicht darum, Debatten zu vermeiden oder Wohlfühl-Journalismus zu machen. "Natürlich muss Journalismus auch Missstände aufdecken, natürlich muss er Konflikte benennen", betont Brüggemann. Doch es mache einen Unterschied, ob eine Debatte so dargestellt werde, dass sie Verständigung ermöglicht – oder so, dass sie die Fronten weiter verhärtet.
Medien stehen vor einer doppelten Herausforderung: Sie müssen sachlich informieren, aber auch Menschen erreichen. Sie sollen Widersprüche benennen, aber nicht unnötig dramatisieren. Doch wie weit geht ihre Verantwortung? "Journalismus wird das Problem der Polarisierung nicht allein lösen können", gibt Brüggemann zu. "Aber er kann eine Rolle dabei spielen, wie stark gesellschaftliche Gräben wahrgenommen werden – und ob wir sie überwindbar halten oder nicht."