Förderinitiative "Momentum" startet nach Überarbeitung neu

Der Uni-Alltag lässt kreativen Köpfen wenig Zeit, um in Ruhe wirklich Neues zu entwickeln. Die "Momentum"-Förderung eröffnet Professor:innen diese kreativen Freiräume. Stichtag für Anträge war der 1. Juni 2022.

Mit der fachlich offenen Initiative "Momentum – Förderung für Erstberufene" möchte die VolkswagenStiftung Wissenschaftler:innen in einer frühen Phase nach Antritt ihrer ersten Lebenszeitprofessur Möglichkeiten zur inhaltlichen und strategischen Weiterentwicklung ihrer Professur eröffnen.

Seit 2017 gibt es das Angebot "Momentum - Förderung für Erstberufene". Es adressiert Wissenschaftler:innen aus allen Disziplinen, drei bis fünf Jahre nach Antritt ihrer ersten Lebenszeitprofessur. Ihnen will "Momentum" Freiräume für neues Denken in Forschung und Lehre eröffnen. 

Ein Gespräch mit Antje Tepperwien und Selahattin Danisman aus der Förderabteilung, die "Momentum" unter dem Dach des Profilbereichs "Wissen über Wissen" neu an den Start bringen.

Es gibt Modifikationen in der jetzt gestarteten neuen Ausschreibung von "Momentum". Welche sind das?

Tepperwien: Wenn ich darauf zunächst stichwortartig antworten darf: erstens eine Unterteilung in zwei Förderphasen und, zweitens, ein anderer Aufbau im Antrags- und Auswahlverfahren mit einigen neuen Elementen.

Dr. Antje Tepperwien leitet das Förderteam "Wissen über Wissen"

Dr. Antje Tepperwien leitet das Förderteam "Wissen über Wissen"

Bevor wir uns mit diesen Modifikationen näher beschäftigen: Die grundlegende Ausrichtung von "Momentum" bleibt unverändert?

Tepperwien: Ja, auf jeden Fall. Wir haben in vielen Fachgesprächen das Feedback erhalten, dass das Grundkonzept unverändert relevant ist und es einen großen Bedarf dafür gibt. "Momentum" adressiert Forschende in der Frühphase ihrer ersten Lebenszeitprofessur. Zu diesem Zeitpunkt sind sie fest im Wissenschaftssystem etabliert. Gleichzeitig ist dies der günstigste Zeitpunkt, in dem eine Professur inhaltlich und strategisch weiterentwickelt werden kann. "Momentum" soll dafür Freiraum bieten. 

Danisman: Es ist ja so, dass sich viele Universitäten mit ihren Forschungsagenden an der Exzellenzinitiative oder an den ganz großen Ausschreibungen orientieren. Die meisten Forscherpersönlichkeiten müssen sich dann in diesen Rahmen einfügen. "Momentum" bietet ihnen die Chance, sich aus diesen Zwängen ein Stück weit zu befreien, sich kreative Freiräume zu schaffen, um etwas Neues für Forschung und Lehre zu entwickeln. Für diese Ideenentwicklung bieten wir in der ersten Förderphase vier Jahre lang Unterstützung.

Tepperwien: Nach vier Jahren evaluieren wir das Projekt und verlängern die Förderung im positiven Fall um weitere zwei Jahre. Diesen zweiten Zeitraum sollen die Wissenschaftler:innen dann nutzen, um ihr neues Konzept in ihrer akademischen Umgebung fest zu etablieren. Für diese Phase ist die Unterstützung der Hochschule eine Voraussetzung. Wir bieten völlige Freiheit bei der Themenwahl,  aber ein neues, innovatives Konzept braucht eben auch die Unterstützung an der Heimatinstitution, um über den Förderzeitraum hinaus bestehen zu können. 

Sie sprachen von Modifikationen im Antrags- und Begutachtungsprozess. Welche sind das? 

Danisman: Wir haben sowohl das Verfahren anders aufgestellt, als auch einzelne neue Elemente eingeführt. Das Auswahlverfahren ist nun dreistufig. Es beginnt mit einem Video-Pitch und einem kontextualisierten Lebenslauf in der ersten Stufe, dann mit einem Hauptantrag in der zweiten Stufe und einer Präsentation mit anschließender Diskussion mit dem Gutachterkreis in der dritten Stufe. 

 

Förderreferent Dr. Selahattin Danisman betreut die Initiative "Momentum"

Förderreferent Dr. Selahattin Danisman betreut die Initiative "Momentum"

Was ist ein "kontextualisierter Lebenslauf"?

Tepperwien: Mit der Berufung auf eine Lebenszeitprofessur hat unsere Zielgruppe bereits den Beweis erbracht, dass sie fachlich hervorragend arbeitet. Das lässt sich anhand der Publikationen und beruflichen Stationen im tabellarischen CV nachverfolgen. Aber was sagt so ein CV über die Antragstellenden aus? Was ist der eigentliche Beitrag zum eigenen Fachgebiet? Und welche Beiträge können nicht im klassischen CV repräsentiert werden? Diesen Kontext versuchen wir in dem neuen Lebenslaufformat abzubilden, in dem narrative Elemente neben klassischen Elementen stehen. Dieser Kontext ermöglicht unserer Meinung nach eine umfassendere und ganzheitlichere Perspektive auf die Antragsteller:innen als das simple Vergleichen von Publikationslisten oder von h-Indices. 

Danisman: Dieses neue Format macht außerdem die Bedeutung von Tätigkeiten sichtbar, die zum Wissenschaftsalltag gehören, die aber nicht in Publikationen abgebildet sind. Damit ist nicht nur Lehre gemeint. Es gibt Forschende, die ganz viel Zeit investiert haben, um Datenbanken aufzubauen. Alle in ihrem Feld nutzen dann diese Datenbank in ihrer eigenen Forschung. Aber dieser service to the community, der da von einer Person mit enormen Einsatz, vielleicht auch Idealismus, geschaffen wurde und von dem so viele profitieren, wird niemals den Sprung in eine "Science"- oder "Nature"-Publikation schaffen. 

Und welche Erwartungen haben Sie an die Videos? 

Tepperwien: Auch der Video-Pitch ist ein Experiment. Statt eines mehrseitigen Antrags sollen die Antragstellenden in einem 90 Sekunden-Video darstellen, wie sie ihre Professur weiterentwickeln wollen und warum. Die Antragstellenden müssen ihr Vorhaben auf den Punkt bringen und das ermöglicht den Gutachter:innen hoffentlich ein schnelles und besseres Verständnis dessen, was geplant ist. Das wiederum ermöglicht – zumindest theoretisch – einen besseren Vergleich. Aber, und das ist ganz wichtig, die Videos sollen ausdrücklich keine High End-Agenturprodukte sein! Es ist absolut ausreichend, wenn jemand ganz klassisch mit Stift am Whiteboard erklärt. 

Ist das nicht zusätzlicher Aufwand, den Sie Antragstellenden zumuten?

Danisman: Ja und nein. Video-Pitches sind den meisten Antragstellenden fremd und daher müssen sie das Medium für sich vielleicht erst entdecken, bevor sie etwas einsenden können. Aber mehr als das CV und der 90-Sekunden-Clip sind in der ersten Bewerbungsstufe auch gar nicht nötig. Und sowohl für das CV als auch für den Hauptantrag in der zweiten Antragsphase stellen wir Templates bereit. Darin sind die Fragen bereits vorgegeben. Da fehlen dann nur noch die überzeugenden Antworten.

Tepperwien: Das Template-Verfahren hat drei Vorteile: 1. Antragstellende müssen nicht lange über den Aufbau ihres Antrags nachdenken. 2. Alle Fragen werden beantwortet, die die Jury braucht, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. 3. Die Jury kann alle Anträge besser miteinander vergleichen. Ich denke, mit dieser Systematisierung vereinfachen wir Antragstellenden wie Gutachter:innen gleichermaßen die Arbeit und machen Zeit frei für das wichtigste: die Auswahl der besten Forscher:innen und Konzepte für "Momentum". 

Danisman: Auf eines sei nochmals hingewiesen: Die Einführung der kontextualisierten Lebensläufe als auch der Video-Pitches stellen auch für die VolkswagenStiftung ein Experiment dar. Obschon wir in anderen Ausschreibungen mit Video-Präsentationen schon Erfahrungen gemacht haben, werden wir den Einsatz dieser Elemente bei "Momentum" sorgfältig beobachten. Sollte sich kein echter Nutzen ergeben, lassen wir beides in der nächsten Ausschreibungsrunde vielleicht auch wieder fallen beziehungsweise passen sie an. Außerdem werden wir deutlich vor dem Stichtag Online-Sprechstunden für "Momentum" anbieten. Da können Interessierte Fragen zum Prozedere und den anderen Rahmenbedingungen von "Momentum" stellen. Wir lassen sie mit diesem Experiment also nicht allein. 

Haben Sie noch Punkte, die Sie den potentiellen Antragstellenden mitteilen möchten?

Tepperwien: Ja. Für mich ist ein entscheidendes Kriterium für den Erfolg von "Momentum", dass der Zielgruppe die ganz besondere Chance deutlich wird, die dieses Förderangebot bietet. Es geht nicht darum, die eigene Forschung nochmal eine Schraube weiterzudrehen. Deshalb kann es passieren, dass jemand mit einem exzellenten Projekt abgelehnt wird, weil es eben, salopp gesagt, nur ein Projekt ist. Wir wollen mehr als ein Projekt. Wir wollen, dass der Forschende sich überlegt: Wo will ich hin mit meiner Professur, wie kann ich Neues integrieren, wie kann ich mich offen zeigen, wie kann ich diese Chance, dass ich mich nicht immer noch weiter spezialisieren muss, sondern einfach auch was Neues will, wie kann ich die nutzen? Auch wenn am Ende nur acht Personen eine Förderung erhalten, würde es mich freuen, wenn schon die Auseinandersetzung mit diesem Förderangebot den ein oder anderen Impuls auslösen könnte - auch bei denen, die am Ende keine Förderung erhalten.